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Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 17.06.2002
Aktenzeichen: 21 W 757/02
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 91 Abs. 2 |
Oberlandesgericht Dresden
Aktenzeichen: 21 W 0757/02 1 HKO 6293/00 LG Leipzig
Beschluss
des 21. Zivilsenats
vom 17.06.2002
In dem Rechtsstreit
wegen Kostenfestsetzung hat der 21. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht , Richter am Landgericht und Richterin am Amtsgericht
beschlossen:
Tenor:
1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Leipzig vom 29.04.2002 wie folgt abgeändert:
Die von der Klägerin an die Beklagte nach dem Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 14.03.2002 zu erstattenden Kosten werden auf EUR 1.627,85 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.04.2002 festgesetzt.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin.
3. Der Beschwerdewert wird auf EUR 81,68 festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Beklagte wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die Nichtfestsetzung der Fahrtkosten ihres Rechtsanwaltes und des Tage- und Abwesenheitsgeldes für den Termin vor dem Oberlandesgericht Dresden in der Berufungsinstanz.
Die Beklagte hat ihren Sitz in Leipzig. In erster Instanz wurde vor dem Landgericht Leipzig verhandelt. Die Beklagte hat einen Leipziger Anwalt beauftragt. Von diesem hat sie sich auch in zweiter Instanz vertreten lassen. Für den Termin vor dem Oberlandesgericht Dresden wurden EUR 30,68 Tageund Abwesenheitsgeld abgerechnet sowie EUR 51,00 an Bahnkosten und Parkgebühren. Das Landgericht Leipzig hat in seinem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29.04.2002 diese zwei Positionen als nicht erstattungsfähig angesehen. Im Kostenfestsetzungsbeschluss heißt es, die Beklagte habe aufgrund des erstinstanzlichen Urteils einen ortsansässigen Prozessbevollmächtigten schriftlich oder fernmündlich informieren können.
II.
Die Beklagte hat Anspruch auf Ersatz der Reisekosten ihres Rechtsanwaltes gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Grundsätzlich sind die Fahrtkosten eines Rechtsanwaltes zu dem Termin vor dem Oberlandesgericht Dresden in der Berufungsinstanz zu erstatten, wenn der Rechtsanwalt seinen Sitz am Ort des erstinstanzlichen Gerichtes hat und zugleich am erstinstanzlichen Gericht und beim Oberlandesgericht zugelassen ist. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits insoweit zu tragen, als sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Notwendige Kosten sind daher solche Kosten, die eine verständige und wirtschaftlich denkende Partei bei Führung des Rechtsstreits als sachdienlich ansehen konnte.
Es ist sachdienlich, wenn der Rechtsanwalt die Partei in der Berufungsinstanz vertritt, der in den Streitstoff eingearbeitet ist. Der Anwalt ist so besser über den Streitstand informiert. Außerdem ist in der Regel davon auszugehen, dass sich ein Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandanten gebildet hat.
Der Anspruch ist nicht gemäß § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO ausgeschlossen. Gemäß § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO sind der obsiegenden Partei die Mehrkosten nicht zu erstatten, die dadurch entstehen, dass der bei dem Prozessgericht zugelassene Rechtsanwalt seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht an dem Ort hat, an dem sich das Prozessgericht oder eine auswärtige Abteilung dieses Gerichts befindet. § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist jedoch einschränkend dahingehend auszulegen, dass mit Zulassung hier die Erstzulassung gemeint ist. § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist daher nicht anwendbar bei Reisen zu einem Obergericht, wenn der Rechtsanwalt bei einem Untergericht und einem Obergericht zugelassen ist.
1. Bisher war herrschende Meinung, dass § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Simultananwalt anwendbar ist und daher Reisekosten nicht erstattet werden, die entstehen, weil der Anwalt zu einem der Gerichte fährt, bei dem er zugelassen ist (OLG Bamberg, Beschluss vom 13.11.1987, 4 W 100/87, JurBüro 1988, 626; OLG Bamberg, Beschluss vom 15.09.1988, 5 W 66/88, JurBüro 1989, 397; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 03.12.1987, 13 W 184/87, Jur- Büro 1989, 102). Diese bisherige Auslegung vermag aufgrund der Änderungen der Zulassung der Rechtsanwälte nicht mehr zu überzeugen.
2. Die Änderung des § 78 Abs. 1 ZPO hat bereits zu einer Veränderung der Rechtsprechung hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit von Reisekosten auswärtiger Rechtsanwälte geführt.
Die Oberlandesgerichte Karlsruhe, Zweibrücken, Hamburg und München lehnen eine Erstattung der Reisekosten auswärtiger Anwälte weiterhin ab (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13.12.2000, 11 W 136/00, JurBüro 2001, 201; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13.12.2000, 4 W 68/00, JurBüro 2001, 202; OLG Hamburg, Beschluss vom 08.12.2000, 8 W 252/00, JurBüro 2001, 203; OLG München, Beschluss vom 06.04.2001, 11 W 946/01, MDR 2001, 773; die gleiche Auffassung vertritt Wolst in Musielak, ZPO, § 91 Rn. 18).
Die Oberlandesgerichte Dresden, Düsseldorf, Hamm, Frankfurt sowie das Kammergericht halten die Reisekosten auswärtiger Rechtsanwälte grundsätzlich für erstat- tungsfähig (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 06.09.2001, 4 W 1262/01, JurBüro 2002, 255; OLG Dresden, Beschluss vom 03.09.2001, WVerg 6/00, RPfl 2002, 45; OLG Dresden, Beschluss vom 22.10.2001, 3 W 1582/01, RPfl 2002, 228; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.08.2001, 10 W 96/01, JurBüro 2002, 151; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.07.2001, 10 W 67/01, MDR 2002, 116; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.11.2001, 2 W 56/00, NJW-RR 2001, 998; Kammergericht, Beschluss vom 08.05.2001, 1 W 49/01, JurBüro 2001, 152; Kammergericht, Beschluss vom 23.01.2001, 1 W 8967/00, JurBüro 2001, 257; OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.01.2001, 6 W 203/00, JurBüro 2001, 259; OLG Hamm, Beschluss vom 05.06.2001, 23 W 167/01, JurBüro 2002, 201; OLG Frankfurt, Beschluss vom 31.07.2000, 6 W 126/00, JurBüro 2000, 587).
a) Als Begründung für die Nichtgewährung der Reisekosten wurde angeführt, der Gesetzgeber hätte dies sonst geregelt. Diese Argumentation kann nicht überzeugen. Der Gesetzgeber überlässt oft bewusst Sachverhalte der Auslegung durch die Gerichte. Im Übrigen gibt es in den Gesetzesmaterialien keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die kostenrechtlichen Folgen der Änderung von § 78 ZPO bedacht hat (vgl. Entwurf der Bundesregierung vom 19.05.1993, Bundestagsdrucksache 12-4993; Entwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 02.11.1999, Bundestagsdrucksache 14-1958).
Es wird die Auffassung vertreten, der Gesetzgeber habe die Kostenregelung neu treffen müssen, wenn er gewollt hätte, dass sich etwas ändert. Diese Argumentation überzeugt nicht. Gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO waren die Reisekosten auswärtiger Anwälte schon immer zu erstatten, wenn dies zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Diese Passage ist auslegungsfähig. Die Auslegung war und ist den Gerichten überlassen. Diesen obliegt es, die Ausle- gung den veränderten Verhältnissen anzupassen. Das Oberlandesgericht Dresden hat daher bereits in seinem Beschluss vom 03.09.2001 (WVerg 6/00) ausgeführt, der Gesetzgeber habe mit der Neufassung von § 78 ZPO den Bezugspunkt der kostenrechtlichen Regelungen geändert, so dass es zumindest nicht selbstverständlich sei, dass nach seinem Willen die Auslegung der Kostenvorschriften trotz veränderter Anknüpfung keiner Änderung unterworfen sein sollten.
b) Das Oberlandesgericht Karlsruhe (Beschluss vom 13.12.2000, 11 W 136/00) führt an, jede Partei habe nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ihre Kosten so niedrig zu halten, wie sich dies mit der vollen Wahrung ihrer berechtigten prozessualen Belange vereinbaren lässt. Deshalb müsse sie einen Anwalt am Ort des Prozessgerichts beauftragen. Dies kann so nicht überzeugen. Vielmehr ist es grundsätzlich als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig anzusehen, wenn eine Partei einen Anwalt beauftragt, der seinen Sitz an ihrem Wohnsitz hat. Zum einen ist hier der Informationsfluss zwischen Mandant und Anwalt einfacher, zum anderen ist auch das Vertrauensverhältnis leichter herzustellen und es kann ggf. der Anwalt eingeschaltet werden, der schon vorprozessual tätig war.
Früher ist man davon ausgegangen, dass es im Interesse der Rechtspflege notwendig ist, dass der Anwalt am Ort des Prozessgerichts seinen Sitz hat. Darauf beruhte auch das Lokalisationsprinzip in der Bundesrechtsanwaltsordnung. Diese Ansicht ist jedoch durch die tatsächliche Entwicklung überholt. Dem hat auch der Gesetzgeber durch die Änderung von § 78 ZPO Rechnung getragen. c) Die Nichtgewährung der Reisekosten auswärtiger Rechtsanwälte wird außerdem auf § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO gestützt. Das Oberlandesgericht Zweibrücken und das Oberlandesgericht Hamburg sowie das Oberlandesgericht München (a.a.O.) wenden § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO direkt an.
Dagegen spricht, dass die Frage der Postulationsfähigkeit von der Frage der Zulassung zu unterscheiden ist.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe argumentiert dagegen in seinem Beschluss vom 13.12.2000 (a.a.O.) damit, auswärtigen Anwälten könnten keine Reisekosten erstattet werden, weil es sonst zu einem Wertungswiderspruch mit § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO käme. Dann würden unter Umständen Reisekosten von weit entfernt anreisenden Anwälten erstattet, während die Fahrtkosten innerhalb des Landgerichtsbezirks nicht erstattet würden.
Dieser Widerspruch würde zwar dadurch abgemildert, dass man in diesem Fall fiktive Informationsreisen der Parteien ersetzen kann. Jedoch führt dies wieder zu einer komplizierten Einzelfallbetrachtung.
3. Aus diesem Widerspruch folgt jedoch nicht, dass nun gar keine Reisekosten der Anwälte zu erstatten sind, sondern dass § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO einschränkend dahingehend auszulegen ist, dass die "Zulassung" nur auf die Erstzulassung bezogen wird.
Nur diese Auslegung berücksichtigt die Änderung der tatsächlichen Verhältnisse und der daraus folgende Änderung von § 78 ZPO. Es ist der Normalfall, dass eine Partei einen Rechtsanwalt am Ort ihres Sitzes beauftragt, nur so wird auch der Informationsfluss ausreichend gewährleistet, so dass dies auch zur Rechtsverteidigung bzw. Rechtsverfolgung notwendig ist. Dem ist bei der Auslegung der Kostenvorschriften Rechnung zu tragen.
Diese Auslegung verträgt sich auch mit dem Grundgedanken des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Dieser greift die Regelung des § 27 BRAO auf. Gemäß § 27 Abs. 1 BRAO muss der Anwalt seine Kanzlei am Ort des Gerichts einrichten, bei dem er zugelassen ist. Gemäß § 27 Abs. 2 BRAO kann er ausnahmsweise seinen Sitz an einem anderen Ort des Gerichtsbezirks nehmen. Auf genau diese Ausnahme ist § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu beschränken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Satz 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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